Die passive Dienstleistungsfreiheit und der Autorisierungsprozess gemäss MiCAR

Die Klausel der passiven Dienstleistungsfreiheit von MiCAR bietet eine Ausnahme für Schweizer CASPs und Emittenten, Dienstleistungen für EU-Kunden anzubieten, ohne eine Autorisierung oder Niederlassung in der EU zu benötigen. Dieser Artikel beleuchtet das Konzept der passiven Dienstleistungsfreiheit, deren Risiken und die detaillierten Autorisierungsverfahren gemäss MiCAR.

Passive Dienstleistungsfreiheit: Eine Ausnahme von der MiCAR-Autorisierung

MiCAR legt ausdrücklich fest, dass keine Autorisierung oder Niederlassung in der EU erforderlich ist, wenn die Dienstleistung ausschließlich auf Initiative des EU-Kunden erbracht wird. Dies wird als umgekehrte Anwerbung oder "auf Initiative des Kunden" bezeichnet. MiCAR umreißt nur die Grundlagen, wann umgekehrte Anwerbung angenommen wird und wann sie dennoch eine Anwerbung darstellt, die eine Autorisierung erfordert.

MiCAR bestimmt ausdrücklich, dass der EU-Kunde und nicht der Drittland-Anbieter die Bereitstellung der Dienstleistung initiieren muss. Eine unaufgeforderte Kommunikation des Drittland-Anbieters schliesst bereits die Interpretation als Kundeninitiative aus.

Risiken

Diese Methode der Dienstleistungserbringung in der EU ist nicht ohne Risiko. Der Dienstleister muss klar nachweisen, dass der Kunde die Beziehung initiiert hat. Wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden kann und das Fehlen einer Niederlassung angenommen wird, muss der Dienstleister mit einer Verwaltungsstrafe gemäss MiCAR rechnen. Daher muss eine sorgfältige Prüfung durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass die Bedingungen für die passive Dienstleistungsfreiheit erfüllt sind und nachgewiesen werden können.

Anforderungen für die passive Dienstleistungsfreiheit

Wenn der Dienstleister beschliesst, auf die Autorisierung und Niederlassung zu verzichten und das Risiko der passiven Dienstleistungsfreiheit einzugehen, finden sie detaillierte Vorschriften in den Leitlinien der ESMA zur umgekehrten Anwerbung gemäss MiCAR. Diese sollen bis Dezember 2024 veröffentlicht werden.

Derzeit liegen diese Leitlinien nur in Entwurfsform vor. Sie stellen jedoch hohe Anforderungen an die passive Dienstleistungsfreiheit. Dieses Verfahren sollte klar als Ausnahme definiert und daher eng gefasst sein. Ziel ist es, eine Umgehung der MiCAR-Vorschriften zu verhindern und EU-Investoren sowie MiCAR-konforme Dienstleister vor unlauteren Aktivitäten zu schützen.

Der Entwurf enthält ausdrückliche Vorschriften zur Online-Werbung, die bereits als unautorisierte Anwerbung ohne Genehmigung und Niederlassung in der EU angesehen werden sollte. Es spielt auch keine Rolle, durch wen das Drittland-Unternehmen einen EU-Kunden anwirbt. Selbst wenn ein Dritter (implizit) im Namen des Drittland-Unternehmens handelt, fällt diese Handlung nicht unter die Ausnahme.

Positiv zu vermerken ist, dass keine Autorisierung erforderlich sein sollte, wenn der EU-Kunde das Drittland-Unternehmen aus eigener Initiative kontaktiert und ihm anschliessend eine ähnliche Art von Krypto-Asset angeboten wird. Es ist jedoch fraglich, wie die EU ähnliche Arten von Krypto-Assets bestimmt. Es wird erwartet, dass die Leitlinien der ESMA eine nicht erschöpfende Liste ähnlicher Krypto-Assets enthalten, was ein Risiko darstellen könnte.

Das Drittland-Unternehmen ist auch zeitlich eingeschränkt. Es reicht nicht aus, dass der EU-Kunde das Drittland-Unternehmen aus eigener Initiative kontaktiert hat. Vielmehr ist das Anbieten (zusätzlicher) Aktivitäten untersagt, wenn seit der Anfrage des EU-Kunden mehr als ein Monat vergangen ist.

Fazit

Insgesamt kann die passive Dienstleistungsfreiheit eine Möglichkeit bieten, für EU-Kunden tätig zu werden, ohne die Mühe einer Autorisierung und Niederlassung in einem EU-Land, birgt jedoch auch erhebliche Risiken. Das Drittland-Unternehmen muss jederzeit nachweisen können, dass es alle Anforderungen für die Ausnahme während der Dienstleistungserbringung erfüllt hat. Dies kann zu einem komplexen Prozess werden, der anfällig für Fehler ist.

Niederlassungsverpflichtung und Autorisierungsverfahren gemäss MiCAR

Für diejenigen, die gemäss MiCAR verpflichtet sind, insbesondere wenn sie sich entscheiden, ihre Aktivitäten nicht auf die umgekehrte Anwerbung zu beschränken, ist die Erlangung einer Autorisierung und die Einrichtung einer Präsenz in einem EU-Mitgliedstaat von entscheidender Bedeutung.

Vorteile der Niederlassung und Autorisierung in einem EU-Staat

Sobald sich ein CASP in einem EU-Staat niederlässt und eine Autorisierung erhält, erlangt es erhebliche Vorteile gemäss MiCAR. Einer der Hauptvorteile ist das MiCAR-Passporting.

Das MiCAR-Passporting ermöglicht es Anbietern, die in einem EU-Land autorisiert und reguliert sind, ihre Dienstleistungen in anderen EU-Staaten anzubieten, ohne eine separate Lizenz oder physische Präsenz in diesen Ländern zu benötigen. Dies erleichtert den freien Handel und die Integration innerhalb des EU-Binnenmarkts und ermöglicht es CASPs:

Vereinfachung der Lizenzierung: Es wird nur eine Lizenz benötigt, um in mehreren EU-Staaten tätig zu werden.
Schnelle Expansion: Die Internationalisierung kann vorangetrieben werden, ohne umständliche Niederlassungsprozesse in jedem EU-Staat.
Erweierung der Markpräsenz: Aktivitäten können im gesamten europäischen Markt mit minimalen regulatorischen Hürden etabliert und ausgebaut werden.

MiCAR stellt daher nicht nur Verpflichtungen auf, sondern bietet auch Möglichkeiten für CASPs, ihre Aktivitäten effizient in der EU auszubauen.

Anforderungen für Emittenten gemäss MiCAR

MiCAR stellt umfassende Regeln für das Angebot, die Ausgabe und das Marketing von Krypto-Assets durch deren Anbieter/Emittenten auf. Die Anforderungen sind wie folgt kategorisiert:

1. Angebot anderer Krypto-Assets (nicht ARTs oder EMTs)

Erstellung eines Whitepapers: Emittenten müssen ein Whitepaper erstellen, veröffentlichen und der zuständigen Behörde mitteilen. Dieses Dokument sollte die wesentlichen Merkmale des Krypto-Assets, Rechte und Pflichten, die zugrunde liegende Technologie und die damit verbundene Risiken detailliert beschreiben.
Anforderungen: Der Emittent muss eine juristische Person sein und den Verhaltensanforderungen entsprechen. Änderungen am Whitepaper müssen innerhalb von 7 Tagen gemeldet werden.
Ausnahmen: Kein Whitepaper ist erforderlich für kostenlose Angebote, Utility-Token, die gegen bestehende Waren oder Dienstleistungen eintauschbar sind, Token in begrenzten Netzwerken, Angebote an weniger als 150 Personen pro Mitgliedstaat, Verkäufe unter 1 Million Euro in 12 Monaten oder Angebote nur an qualifizierte Anleger.
Handelsplattformen: Plattformen, die diese Vermögenswerte handeln, müssen die Whitepaper-Anforderungen erfüllen, wenn kein Whitepaper verfügbar ist.

2. Ausgabe von Asset-Referenced Tokens (ARTs) an die Öffentlichkeit

Whitepaper-Anforderung: ARTs erfordern ein genehmigtes und veröffentlichtes Whitepaper, das Informationen über den Emittenten, den ART, das öffentliche Angebot oder die Handelszulassung, Rechte und Pflichten, zugrunde liegende Technologie, Risiken und Umweltauswirkungen enthält.
Organisatorische Anforderungen: Der Emittent muss eine juristische Person in der EU oder ein Kreditinstitut sein und der zuständigen Behörde vor der Emission umfassende Informationen über Geschäftsmodelle, Governance-Strukturen und Risikomanagement zur Verfügung stellen.
Verhaltensanforderungen: Emittenten müssen fair und professionell handeln, klare und nicht irreführende Kommunikation sicherstellen und Kapitalanforderungen erfüllen. Bedeutende ARTs (über 100 Millionen Euro) unterliegen zusätzlichen Berichts- und Kapitalanforderungen.

3. Ausgabe von E-Geld-Token (EMTs) an die Öffentlichkeit

Whitepaper-Anforderung: EMTs erfordern ein veröffentlichtes und mitgeteiltes Whitepaper, das den Emittenten, den EMT, das öffentliche Angebot oder die Handelszulassung, Rechte und Pflichten sowie die zugrunde liegende Technologie detailliert beschreibt.
Organisatorische Anforderungen: Nur Kreditinstitute oder E-Geld-Institute können EMTs emittieren. Sie müssen der zuständigen Behörde vor der Emission detaillierte Informationen über Geschäftsmodelle und Risikomanagement vorlegen.
Verhaltensanforderungen: Die Regeln der E-Geld-Richtlinie gelten, einschließlich des Rechts auf Rücknahme zum Nennwert und spezifischer Sicherheiten für gehaltene Gelder.

Autorisierungsverfahren für CASPs

Abhängig von ihrer bestehenden Regulierung müssen alle CASPs spezifische Autorisierungsprozesse durchlaufen. Der Antrag auf Autorisierung wird bei der jeweiligen Aufsichtsbehörde in jedem EU-Staat eingereicht. In Deutschland beispielsweise wird die Aufsicht von der BaFin in Zusammenarbeit mit der Bundesbank durchgeführt. MiCAR legt allgemeine organisatorische, verhaltens- und transparentanforderungen für alle Autorisierungsverfahren fest.

1. Standard-Autorisierungsverfahren (Art. 62 und 63 MiCAR)

Das Standard-Autorisierungsverfahren ist die Norm und muss von Schweizer Emittenten und CASPs befolgt werden. Dies gilt nicht, wenn der Schweizer Emittent oder CASP bereits eine Lizenz in einem EU-Land besitzt, in diesem Fall ist nur das Mitteilungsverfahren erforderlich.

Dies ist das umfassendste Autorisierungsverfahren gemäss MiCAR, das die Einreichung eines Antrags auf Genehmigung erfordert. Der Inhalt des Antrags ist in MiCAR detailliert beschrieben, erfordert jedoch im Allgemeinen keine Dokumente, die bereits in früheren Genehmigungsverfahren eingereicht wurden. MiCAR beauftragt die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA), Standardformulare für den Antragsprozess zu entwerfen.

Der Prozess umfasst:

Antragsprüfung: Die Aufsichtsbehörde muss den Antrag innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang auf Vollständigkeit überprüfen. Unvollständige Anträge müssen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens vervollständigt werden.
Entscheidungsfrist: Entscheidungen über die Genehmigung oder Ablehnung werden innerhalb von 40 Arbeitstagen nach Erhalt des vollständigen Antrags getroffen, wobei die Benachrichtigung innerhalb weiterer 5 Arbeitstage erfolgt.

2. Vereinfachtes Autorisierungsverfahren

EU-Mitgliedstaaten sind frei, ein vereinfachtes Verfahren gemäss MiCAR zu regeln. Im Gegensatz zum Standard-Autorisierungsverfahren können EU-Mitgliedstaaten vereinfachte Anforderungen für Unternehmen vorsehen, die ab dem 30. Dezember 2024 eine Genehmigung zur Erbringung von Dienstleistungen nach nationalem Recht besitzen. Ein solcher Antrag muss spätestens bis zum 1. Juli 2026 eingereicht werden. Nach diesem Datum müssen alle Unternehmen das Standardverfahren durchlaufen.

Wenn bereits eine Genehmigung in einem EU-Staat besteht, ist es ratsam, die Möglichkeit der Nutzung dieser Option im Einzelfall und für das spezifische EU-Land zu prüfen. Deutschland hat in einem Gesetzentwurf angedeutet, dass es beabsichtigt, die Option des vereinfachten Autorisierungsverfahrens zu nutzen.

3. Mitteilungsverfahren (Art. 60 MiCAR)

Das Mitteilungsverfahren ist nur für Schweizer Unternehmen relevant, wenn sie bereits eine Lizenz in einem EU-Land besitzen und somit bereits auf EU-Ebene reguliert sind.

Für dieses Verfahren müssen Anbieter nur ihre Absicht mitteilen, Krypto-Asset-Dienstleistungen aufzunehmen. Dies muss mindestens 40 Arbeitstage vor dem geplanten Beginn der Tätigkeit erfolgen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass keine weitere Genehmigung für gleichwertige Tätigkeiten erforderlich ist. Die Gleichwertigkeit wird insbesondere gemäss MiFID II in Bezug auf Wertpapierfirmen angenommen. Die von MiCAR festgelegten organisatorischen, Verhaltens- und Transparenzanforderungen müssen jedoch weiterhin eingehalten werden.

Strategische Entscheidungen zur Etablierung einer Präsenz in einem EU-Mitgliedstaat

Sobald die Entscheidung getroffen wurde, eine Autorisierung zu beantragen, bleibt die Frage, in welchem EU-Land dies erfolgen soll. Es ist wichtig zu beachten, dass der Antrag in diesem EU-Land eingereicht werden muss und darüber hinaus der Hauptsitz des Unternehmens dorthin verlegt werden muss. Die Auswahl ist eine strategische Entscheidung und sollte im Einzelfall für rechtliche und zeitliche Vorteile bewertet werden.

Die Wahl des richtigen EU-Mitgliedstaats für die Etablierung einer Präsenz umfasst die Berücksichtigung mehrerer Faktoren:

Regulatorische Klarheit und Unterstützung: Auswahl eines Landes mit klaren und unterstützenden Vorschriften.
Marktzugang: Zugang zu einem grossen und relevanten Markt innerhalb der EU.
Infrastruktur und Geschäftsumfeld: Eine gut entwickelte finanzielle und geschäftliche Infrastruktur.
Übergangszeitraum: Längere Übergangszeiträume bieten mehr Zeit, sich an neue Vorschriften anzupassen.

Überlegungen zu EU-Mitgliedstaaten:

Liechtenstein (EWR): Nähe zur Schweiz, ähnliche Rechtsrahmen, voller Zugang zum EU-Markt über Passporting und eine progressive Haltung gegenüber Krypto-Assets.
Deutschland: Stabile Regulierung durch BaFin, starke Finanzmarktinfrastruktur und zahlreiche Unterstützungsprogramme für FinTech-Unternehmen.
Estland: Bekannt für digitale Innovation, flexible Kryptoregulierung und das E-Residency-Programm.
Malta: Spezialisierte Kryptoregulierung, unternehmensfreundliches Umfeld und attraktive Steuerstruktur.
Frankreich: Detaillierte Vorschriften, starke Unterstützung für FinTech-Unternehmen und Zugang zu einem großen Markt.
Luxemburg: Finanzielle Stabilität, gut entwickelte Finanzinfrastruktur und ein 12-monatiger Übergangszeitraum.
Niederlande: Klare und fortschrittliche Vorschriften, starke Wirtschaft und ein 6-monatiger Übergangszeitraum.

Fazit

Die MiCAR-Regulierung betrifft Schweizer Finanzdienstleister, insbesondere Emittenten von Krypto-Assets und CASPs, die EU-Kunden bedienen möchten. Sie müssen umfangreiche Autorisierungsverfahren und regulatorische Anforderungen sowohl für den Primär- als auch für den Sekundärmarkt für Krypto-Dienstleistungen in der EU erfüllen.

Schweizer Unternehmen haben die Möglichkeit, eine Präsenz in einem EU-Mitgliedstaat zu etablieren und eine Autorisierung zu beantragen, um das MiCAR-Passporting zu nutzen, oder die komplexen Anforderungen der umgekehrten Anwerbung zu erfüllen, was erhebliche Nachweispflichten und Risiken mit sich bringt.

MiCAR bietet Schweizer Unternehmen Chancen, den europäischen Markt leichter zu erschliessen und sich in einem regulierten Umfeld zu etablieren. Die Wahl des EU-Staates zur Etablierung einer Präsenz hängt von der regulatorischen Klarheit, der Marktgrösse und der infrastrukturellen Unterstützung ab.